Gutes Design entsteht aus Freude

Interview mit Silke und René, den Gründern und Inhabern von Oktober Kommunikationsdesign, Dezember 2019.

Oktober wird bald 25 Jahre alt. Doch die Geschichte eurer Zusammenarbeit ist noch älter, oder?

René: Richtig. Die Geschichte von Oktober beginnt in grauer Ur- und Vorzeit. Um genau zu sein: 1987. Damals beschlossen Silke und ich, ein Kulturmagazin für unsere Heimatstadt Bochum zu gründen. Kein fotokopiertes Fanzine! Wir waren damals schon Qualitätsfanatiker und wollten ein hochwertiges Magazin mit professionellem Layout und in makellosem Offset-Druck. Aus heutiger Sicht ein utopisches Unterfangen, da wir über keinerlei Budget verfügten.

Silke: Ich studierte Grafikdesign in Dortmund und René Kunstgeschichte an der Ruhr Universität in Bochum. Wir waren den schönen Dingen zugetan. „Wirtschaftlichkeit“ war für uns nicht so wichtig.

Habt ihr eure Idee verwirklicht?

René: Ja, wir haben es einfach gemacht. Aus Kommilitonen und Freunden stellten wir eine Redaktion zusammen und machten uns gemeinsam ans Werk. Eigentlich sollte die erste Ausgabe im Januar 1988 erscheinen. Tatsächlich wurde es aber der Februar. Das Kulturmagazin bospect war geboren. Neben Marabo, Guckloch (später Prinz) und Coolibri war bospect die vierte publizistische Kraft aus dem legendären Bochumer Bermudadreieck. Wir haben das Magazin neuneinhalb Jahre lang in einer monatlichen Auflage von 10.000 Stück heraus gebracht und nebenbei auch noch studiert.

Silke: Aus Kostengründen waren wir gezwungen, alles selbst machen: Schreiben, fotografieren, Satz und Layout bis hin zur Druckvorlagenherstellung. Aber so merkten René und ich, dass uns die Layout-Arbeit enorm viel Spaß machte. Nach einem Jahr Photosatz, Reprokamera und Klebewachs, kratzten wir unsere Ersparnisse zusammen und kauften uns für 14.000 Mark einen gebrauchten Macintosh II mit Schwarzweiß-Monitor. Nach Installation der damals führenden Layout-Software „Aldus Pagemaker“, begannen wir, das Layout vollständig digital zu produzieren.

Ihr wart also das, was man heute ein „Start-Up“ nennen würde?

René: Es kam uns gar nicht wie eine Unternehmensgründung vor. Wir mussten aber diese gewaltige Investition irgendwie refinanzieren. Das Magazin warf kein Geld ab. Also begannen wir damit, kleinere Grafikjobs anzunehmen. Dazu gehörten Plattencover, Logos und Broschüren.

Silke: Im Gegensatz zu anderen Designern und Designerinnen, konnten wir nicht nur gestalten, sondern hatten auch die handwerklichen Fähigkeiten und mit dem Mac die Produktionsmittel, um nicht nur Entwürfe, sondern professionelle Druckvorlagen zu erstellen. Deshalb bekamen wir viele Jobs und konnten uns so das Studium finanzieren.

War das die Geburtsstunde von Oktober?

René: Nicht wirklich. 1995 hatte ich endlich (nach zehn Jahren) mein Studium abgeschlossen – Silke war schon früher fertig. Damit war eigentlich der Weg frei, eine richtige Design-Agentur zu gründen. Doch es kam – zunächst – anders.

Silke: Über Umwege hörten wir erstmals vom Internet und waren davon völlig fasziniert. Mit Freunden entwickelten wir die Idee, unter dem Titel „ruhrnetz“ eine Internetpräsenz für das Ruhrgebiet zu entwickeln. Doch leider fanden wir für diese damals revolutionäre Idee keine Geldgeber, so dass wir Plan B umsetzten und eine Digital-Agentur gründeten: Die Phase 26. Drei Freunde kümmerten sich um die technische Umsetzung, wir um den Entwurf von Internetseiten. Da die Phase 26 nahezu konkurrenzlos am Markt war, wurde unser kleines Pionier-Unternehmen mit großen Aufträgen überschüttet: Volkswagen, Karstadt, LBS, Aral …

Doch dann platzte die Dot-Com-Blase …

Silke: Nein, wir waren vorher schon wieder von Bord. Bereits nach zwei Jahren Digitalagentur – und drei Jahre vor dem Crash – trieb es René und mich weiter. Die Gestaltungsmöglichkeiten für das frühe Internet waren allzu beschränkt und wir wünschten uns, endlich wieder gestalterisch aus dem Vollen schöpfen zu können. Also zogen wir um, in das alte Verwaltungsgebäude einer ehemaligen Zeche in Bochum – unsere neue Adresse lautete: Fröhliche Morgensonne 1 – und gründeten ein „richtiges“ Designbüro. Der Name unserer neuen Firma lautete: Oktober Kommunikationsdesign.

René: Wir waren im Ruhrgebiet bestens vernetzt – insbesondere in der Kulturszene – und so kamen die ersten Design-Aufträge von Museen, Theatern und Filmfestivals. 1999 gelang uns dann mit den Stadtwerken Bochum der Sprung zu Wirtschaftskunden. Den Pitch, über den wir zu einem unserer langjährigsten Kunden kamen, gewannen wir mit der Gestaltung einer Visitenkarte.

Wie ging es weiter?

Silke: Danach verging die Zeit wie im Fluge. Im Jahr 2000 wandelten wir Oktober in eine GmbH um und kurz darauf vergrößerte sich unser Team auf drei Personen: Burkhard Heller wurde, abgesehen von René und mir, der erste Mitarbeiter von Oktober. Und er ist glücklicherweise bis heute dabei! 2001 gestalteten wir die erste Ruhrtriennale, von 2002 an zehn Jahre lang die Red Dot-Designbücher des Designzentrums NRW. Wir entwarfen unzählige Erscheinungsbilder – insbesondere für Kultureinrichtungen und öffentliche Auftraggeber. 2005 bekamen wir den Auftrag, das Logo und Erscheinungsbild der Ruhr-Universität neu zu entwerfen. Das war bis dahin unser größter und anspruchsvollster Auftrag. Ein Jahr lang arbeiteten wir an dem umfangreichen CD und sind bis heute stolz auf das Ergebnis.

René: Unser Büro in der Fröhlichen Morgensonne war wunderschön – nur lag es mitten in einer urbanen Wüste. Die Nahversorgung bestand aus dem Shop-Angebot einer Tankstelle. 2008 hielten wir es nicht länger aus und zogen mit unserem aus elf Designer:innen bestehenden Oktober-Team in die Bochumer Innenstadt. Da gab es Cafés und Restaurants und wir konnten mit dem Fahrrad ins Büro radeln. Auch wenn es trivial klingt: Solche „Kleinigkeiten“ haben einen großen Einfluss auf die Lebensqualität. Hinzu kommt, dass auch unser neues Büro wirklich schön ist. Es ist die ehemalige Verwaltungsetage der alten Schlegel-Brauerei, in der das wunderbare 1950er Interieur überlebt hat.

Was macht Oktober eigentlich genau?

René: Wir verstehen uns als Branding-Agentur. Unser Kerngeschäft besteht somit in der Entwicklung von Markenidentitäten für Unternehmen und Institutionen. Wir glauben, dass es sehr sinnvoll ist, Organisationen als Marken zu verstehen. Das sorgt nämlich zwangsläufig dafür, aus der Perspektive von Kunden zu denken, denn eine Marke ist ja nichts anderes, als ein Vorstellungsbild in den Köpfen von Bezugsgruppen. Ziel der Entwicklung einer Markenidentität ist es, dieses Vorstellungsbild aktiv zu formen. Damit das gelingen kann, befassen wir uns zunächst mit der inhaltliche Definition einer Unternehmensmarke: Wofür steht sie? Welche Nutzen bietet sie wem? Was unterscheidet sie von anderen? Welche Persönlichkeit hat sie? Und so weiter. Am Anfang steht also die Theorie. Doch wenn man sie sorgfältig absolviert, ist das Ergebnis ein genetischer Code, der im Zentrum aller zukünftigen Markenkommunikation steht und dafür sorgt, dass Bezugsgruppen ein intendiertes Vorstellungsbild vermitteln werden kann. Erst auf dieser Grundlage beginnen wir mit der kreativen Arbeit, ein Corporate Design zu entwerfen.

Silke: Wir beschränken den Begriff „Markenkommunikation“ aber nicht auf Corporate Designs, sondern verstehen darunter eigentlich die komplette visuelle Kommunikation von Unternehmen und Institutionen, von der Geschäftsausstattung über Plakate, Broschüren, Magazine bis hin zu Werbekampagnen.

René: Vor allem sind wir auch Spezialisten für die digitale Kommunikation von Marken. Im Zentrum unserer Arbeit steht dabei meist die Unternehmenswebsite, die wir konzipieren, gestalten und umsetzen. Ich glaube, es gibt wenige Agenturen, die mit diesem Thema so viel Erfahrung haben wie wir. Seit 1995 produzieren wir Websites, haben dabei praktisch die komplette Entwicklung des World Wide Web miterlebt und bis heute sicherlich hunderte Websites online gebracht. Was wir dabei gelernt haben: Eine Website ist ein komplexes Kommunikationsmedium. Die Kompetenz von Designern und Designerinnen sollte deshalb nicht nur auf die Gestaltung beschränkt, sondern unbedingt auch für die Konzeption genutzt werden.

Wie entstehen bei euch gute Ideen und Lösungen?

Silke: René und ich haben schon immer das unverschämte Glück gehabt, mit den kreativsten Köpfen zusammen arbeiten zu können. Unser Team setzt sich aus unglaublich talentierten Gestaltern und Gestalterinnen zusammen, die immer wieder hervorragende Ideen und Entwürfe entwickeln – und das eben miteinander im Team und nicht gegeneinander. Es gibt für uns nichts schöneres, als mit unserem Team an gutem Design zu arbeiten. Was später so einfach und selbstverständlich aussieht, ist tatsächlich das Ergebnis eines langen und meist auch anstrengenden Arbeitsprozesses. Für jede realisierte Idee sind unzählige andere im Papierkorb gelandet. Wir sind da sehr anspruchsvoll. Wir arbeiten so lange, bis wir einen Entwurf haben, der perfekt funktioniert und großartig aussieht. Wenn dieser dann – endlich – vorliegt, gehört das zu den schönsten Momenten unseres Jobs.

René: Es gibt ja keinen Zweifel daran, dass Schönheit Glücksgefühle auslöst. Da braucht es gar keinen intellektuellen Überbau, kein „Kunst“-Label. Schönheit ist ein Wert an sich und ich bin wirklich froh, einen Job zu haben, bei dem es, – neben all der wichtigen konzeptionellen und inhaltlichen Arbeit – doch immer wieder zentral auch um die Kreation von Schönheit geht.

Für welche Art Auftraggeber arbeitet ihr am liebsten?

Silke: Wir schätzen es sehr, für Kunden zu arbeiten, die die Welt zu einem besseren Ort machen. Das kann eine soziale Leistung sein, Kunst und Kultur oder ein Produkt mit Sinn. Deshalb haben wir in unserem Portfolio auch kaum klassische Konsummarken. Einem Massenkonsumartikel wie z. B. einem Softdrink, zu mehr Absatz zu verhelfen, mag eine herausfordernde, kreative Aufgabe sein, aber besonders sinnvoll erscheint sie uns nicht. Lead-Agentur des LWL zu sein – einem Kommunalverband mit über 17.000 Mitarbeitern*innen, der sich um Förderschulen, Menschen mit Behinderungen und psychischen Krankheiten, sowie eine Vielzahl von Museen kümmert – macht uns hingegen stolz. Auch die Entwicklung des Corporate Designs unserer Stadt, das neue Erscheinungsbild für das UNESCO-Welterbe Zollverein oder der Auftritt von Back Bord, der größten deutschen Bio-Bäckerei sind Traum-Jobs für uns.

Was macht Oktober aus?

René: Unser Motto lautet: „Ein Design ist erst rund, wenn es Ecken und Kanten hat“. Wir wollen, dass unsere Gestaltung aneckt und berührt und niemanden kalt lässt. Wir glauben, dass exzellentes Design originell zu sein hat und nicht bereits Bekanntes wiederholt. Es muss neu und aufregend und mehr als eine schmeichelnde Oberfläche sein. Kurz: Design von Oktober schmiegt sich nicht an, es bleibt hängen.

Silke: Wir verstehen uns aber auch als Kommunikationsingenieure. Wir denken über die bloße Gestaltung von Oberflächen hinaus. Gutes Design in unserem Sinne geht in die Tiefe und befasst sich mit Konstruktion und Dramaturgie des gesamten Kommunikationsprozesses.

Was treibt euch persönlich an?

René: Geld ist das Resultat unserer Arbeit, niemals jedoch unser alleiniger Antrieb. Klingt für eine kommerziell erfolgreiche Agentur befremdlich, oder? Silke und ich sind davon überzeugt, dass unsere Arbeit jeden Cent wert ist, den sie kostet. Und doch ist nicht Gewinnmaximierung unsere Motivation, sondern die Erschaffung wirklich guten Kommunikationsdesigns.

Silke: Und doch zählt bei uns nicht nur das perfekte Ergebnis. Der Weg dahin, der Austausch mit interessanten Menschen, im Team wie auch mit Kunden, ist ebenfalls entscheidend. Wir wollen uns jeden Morgen auf unser Team und unsere Kunden freuen. Ich glaube, nur durch Freude kann wirklich gutes Design entstehen.